Die neue Unternehmensstrategie ausrollen, Abteilungen restrukturieren oder die Digitalisierung von Geschäftsprozessen: Veränderungen lösen oft Ängste, Interessen und Widerwillen aus. Viele Initiativen erreichen die gesteckten Ziele nicht, führen sogar zu Gegenwehr. Wie gezielte Maßnahmen bei der internen Kommunikation dies verhindern können und was beim Change Management passieren muss, um Widerstand in Engagement zu wandeln, verraten die clavis-Expertinnen Astrid Kühn-Ulrich und Sabine Volgger im Interview.
Widerstände sind eine normale Begleiterscheinung von Veränderungen. Diese äußern sich sowohl in fehlender Anpassungsbereitschaft (Nicht-Wollen) als auch in fehlendem Anpassungsvermögen (Nicht-Können). Die Praxis zeigt, dass sich die Betroffenen auf verschiedene Gruppen aufteilen lassen: Rund ein Drittel steht dem Wandel offen und positiv gegenüber, ein Drittel verhält sich neutral sowie abwartend und das letzte Dritte lehnt die Veränderung vehement ab. Führungskräfte und Kommunikator:innen können dem entgegenwirken und aus Mitarbeiter:innen wertvolle Mitstreiter:innen machen – sofern bei der internen Kommunikation einiges beachtet wird.
Worauf muss bei Veränderungsprozessen mehr geachtet werden: intern oder extern?
Sabine Volgger: Ein Change-Prozess ist fürs erste Mal ein interner Vorgang, bei dem auf Basis neuer Strategien, Entwicklungen, Produkten beispielsweise eine neue Struktur aufgebaut werden muss. Der Fokus liegt auch hier klar auf den internen Abläufen, Strukturen etc. Die Gefahr dabei: externe Maßnahmen werden oft vergessen. Dabei ist es essenziell, die Außenwelt unbedingt bei der Veränderung mitzunehmen.

Die Mitarbeiter:innen sind emotional berührt von dem Prozess, und sie stehen in ständigem Kontakt mit der Außenwelt. Das gesamte Umfeld, Kund:innen und sämtliche Stakeholder:innen, muss mitgenommen werden. Deshalb ist es wichtig, dass – auch wenn die Veränderung intern stattfindet – diese professionell mit externer Kommunikation begleitet wird. Das gilt umso mehr, wenn der Veränderungsprozess partizipativ angelegt ist.
Astrid Kühn-Ulrich: Ob die interne oder externe Sicht überwiegt, kommt auch sehr auf das Thema an. Es gibt auch Veränderungen, die in der Öffentlichkeit stark wahrgenommen werden und durch professionelle externe Kommunikation begleitet werden müssen. Etwa wenn es eine Fusion von zwei Unternehmen gibt, oder wenn im Rahmen einer Restrukturierung ein Standort geschlossen werden muss. Hier besteht die Gefahr, dass die Bedürfnisse der Belegschaft nicht ausreichend Berücksichtigung finden. Hier ist die interne Kommunikation genauso wichtig. Und auch nach der Bekanntgabe einer Entscheidung müssen dann die internen Prozesse – z.B. das Zusammenwachsen zweier Unternehmenskulturen und –strukturen gut begleitet werden.
Eine schöne Definition für Change Management ist „Manage the people’s side of change“ – es geht also darum, die Mitarbeitenden in Veränderungsprozesse mitzunehmen, sie mit ihrem Wissen, ihren Erfahrungen und Ideen frühzeitig einzubinden und auch mit Fragen und Kritik professionell umzugehen, um eine möglichst hohe Unterstützung der Veränderung zu erreichen.

Über welche Fallstricke stolpern Unternehmen bei der internen Kommunikation am häufigsten?
Astrid Kühn-Ulrich: Drehen wir die Frage um – was ist besonders wichtig? Erstens: Mitarbeitende, die von einer Veränderung persönlich betroffen sind, müssen zuerst, direkt und persönlich informiert werden. Und dann geht es beim Change ganz viel um Transparenz: Viele Unternehmen verlieren das Vertrauen, weil sie zu spät oder nicht ausreichend über die anstehenden Veränderungen sprechen.
Was genau passiert? Warum muss es passieren? Wie geht der Prozess weiter, was sind die nächsten Schritte? Hier geht es vor allem um Information und Einordnung der Sachverhalte. Aber auch der Dialog darf nicht zu kurz kommen. Wann wird das Gespräch mit den Mitarbeiter:innen gesucht? Was sind ihre Fragen? Was haben sie für Ideen? Wenn es um einen Beteiligungsprozess geht, muss man sich bereits am Anfang genau überlegen: Wie viel Gestaltungsraum gibt es und an welcher Stelle des Prozesses fordere ich die Belegschaft auf, sich einzubringen. Wenn das nicht klar ist, weckt man mit dem Stichwort „Beteiligung“ Erwartungen, die man dann möglicherweise nicht erfüllen kann – und da geht viel Vertrauen verloren.
Sabine Volgger: Entscheidend ist ein offenes Ohr. Wird zu wenig kommuniziert, verhärten sich im schlimmsten Fall Gerüchte und Unsicherheiten. Diese führen zu einer Steigerung der Emotionalität bei den Betroffenen – und wir wissen, auch gut begleitete Veränderung bringt sowieso immer Emotionalität mit sich. Zu hohe Emotionalität führt zur Verhärtung, zu fixen Bildern im Kopf, zu Konflikten und dadurch wird der Prozess maßgeblich erschwert. Deshalb muss die Unternehmensführung so viel Sicherheit in der Unsicherheit wie möglich geben.
Dabei gilt: Die wichtigste und zuverlässigste Quelle müssen immer die direkten Vorgesetzten sein. Darum müssen die Führungskräfte gut eingebunden werden, sie müssen die Notwendigkeit der Veränderung verstanden haben und in der Lage sein, diese auch weiter zu transportieren.
Unsicherheiten sind so lange da, bis die finalen Ergebnisse kommuniziert werden – und das ist oft ein langer Weg. Deshalb braucht es Zeit, ein offenes Ohr für Sorgen und eine klare Vision, eine Erklärung, warum die Veränderung passiert und warum sie notwendig ist. Die interne Kommunikation muss immer den individuellen Nutzen für alle Mitarbeiter:innen hervorheben. What does it mean for me? Das muss von Anfang an beantwortet werden können. Wenn nicht, kann man auch nicht verlangen, dass jemand die Veränderung mitträgt.
Was ist zu tun, wenn im Unternehmen Gerüchte die Runde machen?
Sabine Volgger: Gerüchte kann man nie vermeiden. Was man tun kann, ist hellhörig zu sein und darauf zu reagieren – Gerüchte ganz zu ignorieren wäre ein großer Fehler. Worüber wird am Kaffeeautomaten gesprochen? Was erhitzt die Gemüter? Die direkte Ansprache ist das richtige Mittel, um Gerüchte mit Fakten und nachvollziehbaren Argumenten zu begegnen.

Das muss so früh wie möglich passieren, damit sie sich nicht verselbstständigen und sich in den Köpfen der Mitarbeiter:innen allzu sehr verfestigen.
Astrid Kühn-Ulrich: Eine Vermeidungsstrategie ist falsch. Gerüchte sind bei Veränderungsprozessen nicht ungewöhnlich, da Orientierung gesucht wird. Wichtig ist, professionell damit umzugehen, und die Themen wieder in den öffentlichen Raum zurückbringen. Am besten werden Dialogräume geschaffen, in denen alles, was nicht klar ist, offen besprochen wird.
Wie werden Mitarbeiter:innen zu Change Agents?
Astrid Kühn-Ulrich: Change Agents sind Botschafter:innen: Menschen in der Organisation, die gut vernetzt sind, geschätzt werden und die Veränderung begrüßen. Sie können einen wesentlichen Beitrag leisten, ihre Kolleg:innen in einem Change-Prozess mitzunehmen. Sie sind nah dran und werden von den Kolleg:innen als glaubwürdig betrachtet. Sie können über ihre Erfahrungen berichten und ihr Wissen weitergeben, z.B. wenn es um die Nutzung neuer IT-Systeme oder eine neue Vertriebsstrategie geht. Ein guter Ansatz ist auch, die Change Agents untereinander zu vernetzen, sodass sie sich in der Gruppe austauschen und gute Erfahrungen im Umsetzungsprozess miteinander teilen können. Schließlich sind die Change Agents ein ganz wichtiger Rückkanal für die Geschäftsleitung: Sie hören, was die Betroffenen sagen, wo der Schuh drückt oder wo es noch Klärungsbedarfe gibt. Wenn diese Informationen zurück in die Geschäftsführung gespielt werden, dann können genau diese Punkte bearbeitet werden und die Mitarbeiter:innen erleben, dass sie sich wirklich in einer Veränderung einbringen können.
Sabine Volgger: Jene Personen in Unternehmen, die viel Organisatorisches auf- und vorbereiten müssen, spielen aus meiner Sicht eine große Rolle. Sie haben mehr Informationen als die breite Belegschaft und entdecken eher Lücken, die mit Informationen gefüllt werden müssen. Das Management ist gut beraten, auf diese internen Wissensträger:innen zu setzen – es sind nämlich meist nicht die Manager:innen, die die Veränderung in der Praxis umsetzen.

Was zeichnet gute Führungskräfte in Change-Prozessen aus?
Sabine Volgger: Wir marschieren vorwärts in eine Zeit der ständigen Veränderung, Unternehmen müssen sich daher in ihrer Grundhaltung auf einen kontinuierlichen Veränderungsprozess einstellen.
Oft muss sogar sehr schnell reagiert werden, es bleibt gar keine Zeit für gut geplante Change-Prozesse. Deshalb ist Flexibilität in Unternehmen sehr gefragt.
Astrid Kühn-Ulrich: Change-Kompetenz bedeutet, sich damit auseinanderzusetzen, wie man mit Veränderung umgeht. Wie nehme ich Menschen mit, wie setze ich die richtigen Prioritäten, wie gehe ich mit Widerstand um? Resilienz und Ambiguität – also die Fähigkeit, mit unsicheren Situationen und widersprüchlichen Interessen und Positionen umzugehen – sind Schlüsselfähigkeiten. Man muss heute als Führungskraft mit den sprichwörtlichen Grauzonen umgehen und sie aushalten können.
Sabine Volgger: Bei einer Veranstaltung hat die Vortragende jede und jeden im Publikum gebeten, etwas an sich zu verändern. Die meisten haben die Uhr abgenommen, die Jacke ausgezogen oder die Taschentücher ausgepackt. Anschließend fragte die Vortragende, welche Gemeinsamkeit sich aus diesen Reaktionen ableiten lassen – worauf der ganze Saal zu rätseln anfing. Die Auflösung: Alle haben etwas weggegeben, obwohl es auch naheliegend gewesen wäre, die Uhr einfach auf den anderen Arm zu binden. Das ist auch die große Gefahr bei Change-Prozessen: dass sie mit Verlust in Verbindung gebracht werden.
Sind Abschiede denn kein Thema bei Veränderungsprozessen?
Astrid Kühn-Ulrich: Und ob. Man muss anerkennen, dass es meist Abschiede geben wird und Liebgewordenes losgelassen werden muss. Das sollte man dann auch zelebrieren, mit einem Fest oder einem Dankeschön. Es ist wichtig, das Positive der Vergangenheit wertzuschätzen und gleichzeitig Neues willkommen zu heißen. Was ist noch da, was bleibt? Worauf bauen wir auf?
Bei größeren Change-Prozessen ist es sinnvoll, ein Narrativ zu entwickeln, eine Change-Story. Die kann sich genau diesen Fragen widmen. Wo kommen wir her? Vor welchen Herausforderungen stehen wir? Wo wollen wir hin, was ist unser Ziel? Was machen wir dafür und wie setzen wir es um?
Woran erkennt man einen geglückten Change-Prozess?
Astrid Kühn-Ulrich: Indem festgelegt wird, an welchen Kriterien man den Erfolg festmacht. Diese müssen vorab definiert werden, bei einem gut gemanagten Change-Prozess wird immer wieder zwischenevaluiert. Dementsprechend sollte auch die Umsetzungsstrategie angepasst oder nachgeschärft werden.
Sabine Volgger: Das Schlimmste, das passieren kann: es verändert sich nichts. Wenn trotz aller Bemühungen alles gleichbleibt, weil die Beharrungskräfte so groß sind.