Seit dem Jahr 2008 laufen die Planungen für das Projekt Seestadt Bregenz, ein neues, urbanes Stadtviertel mit einer Kombination aus Einkaufen, Wohnen und Arbeiten. Mehr als 13.000 Quadratmeter Handels-, Gastronomie- und Büroflächen sowie 65 Mietwohnungen sollen entstehen. In den vergangenen Jahren wurden nicht nur zahlreiche ExpertInnen eingebunden, sondern auch die lokale Bevölkerung beteiligt. Jetzt wird der Baubescheid erwartet – und plötzlich regt sich massiver Widerstand. Im Talk analysiert wikopreventk-Geschäftsführer Dieter Bitschnau die Situation.
Die wichtigsten Erkenntnisse:
- Bei einem derart langen Planungszeitraum ist die kontinuierliche Kommunikation mit den Interessengruppen und der Bevölkerung das A und O.
- Gerade vor dem Hintergrund, dass ein Projekt wie die Seestadt seine Spuren im Netz hinterlässt, ist stringente Kommunikation gefragt. Denn: Das Netz vergisst nie.
- In einem partizipativen Prozess muss von Anfang an definiert werden, für welche Bereiche und wie tief die Beteiligung und das Mitspracherecht vorgesehen sind.
- Bei Investitionsvorhaben ist es unabdingbar, den Nutzen für die Bevölkerung sichtbar zu machen.
- Ein ambitionierter Zeitplan kann zur kommunikativen Gefahr werden – daher besser ein sattes Zeitpolster hinzurechnen und früher als erwartet beginnen.
Der Masterplan für das Seestadt-Areal wurde bereits 2008 beschlossen. Was bedeutet eine so lange Projektdauer für die Kommunikation?
Dieter Bitschnau: Bei einem derart langen Planungshorizont muss mit den involvierten Interessengruppen und der Stadtbevölkerung kontinuierlich kommuniziert werden. Nur so kann Verständnis für wichtige Änderungen im Projekt geschaffen werden. Es geht nicht nur darum, ein Feuer für ein Vorhaben anzufachen. Das Feuer muss bis zum Schluss brennen.
Welche Rolle spielen das Internet bzw. soziale Medien?
Ein partizipativer Prozess für ein Stadtentwicklungsprojekt wie die Seestadt hinterlässt seine Spuren im Netz. Mediale Ankündigungen, Studien oder Modellpräsentationen sind mit einem Mausklick wieder auf dem Schirm. Es lässt sich leicht überprüfen, ob das, was präsentiert und vereinbart wurde, mit dem Endergebnis zusammenpasst. Eine stringente Kommunikation ist gefragt. Denn das Netz vergisst nie.
Wie viel Beteiligung macht bei einem solchen Projekt Sinn?
Bereits in den Masterplan sind neben dem Fachwissen der ExpertInnen auch Anregungen der Bevölkerung eingeflossen. Auch bei der Gestaltung des endgültigen Architektenentwurfs wurden die BürgerInnen eingebunden und Ende 2014 die scheinbar finalen Pläne präsentiert. Es ist verständlich, dass es bei einem Vorhaben solcher Größe bei den Detailplanungen zu kleinen und größeren Änderungen kommen kann.
Laut Stadtpolitik wurden einerseits weitere Verbesserungen für die Stadt erzielt, andererseits machten geänderte Rahmenbedingungen für den Bauherrn Umplanungen notwendig. Allerdings wurden die Änderungen nicht mehr zurück an die BürgerInnen gespielt, geschweige denn die endgültigen Pläne offiziell präsentiert. Das liefert Nährboden für Gerüchte und Spekulationen.
Wenn ich einen partizipativen Prozess starte, dann muss ich von Beginn an klar formulieren, für welche Bereiche und wie tief die Beteiligung und das Mitspracherecht vorgesehen sind. Es ist unbedingt notwendig, die Leitplanken der Bürgerbeteiliung klar zu definieren.
Am Anfang wurde das Projekt als urbanes Stadtviertel verkauft, im Laufe der Planungen wurde die Seestadt immer mehr zum Einkaufspalast oder zum City-Shoppingcenter. Warum ist das passiert?
Der Frage, welche Fashion- und Handelsmarken dort einziehen, wurde in der Öffentlichkeit sehr viel Beachtung geschenkt. Die zentrale Geschichte in den Medien war plötzlich, ob H&M oder Zara in die Seestadt kommen. Die Themen Arbeiten, Wohnen und Leben im neuen Innenstadt-Quartier rückten immer mehr in den Hintergrund. Anstatt die vielen Möglichkeiten für die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen aufzuzeigen, wurde der Nutzen der Seestadt in der öffentlichen Meinung auf das Thema Einkaufen reduziert.
Der Baustart der Seestadt wurde immer wieder angekündigt und verschoben. Was heißt das für die Kommunikation?
Ein solches Großprojekt plant und baut man nicht jeden Tag. Oft zeigen sich unvorhergesehene Probleme und Unwägbarkeiten erst bei genauen Untersuchungen in der Planungsphase. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf den Zeitplan.
Umso heikler sind öffentliche Ankündigungen von Meilenstein-Terminen wie Baueingabe, Baubescheid-Erhalt, Spatenstich oder Eröffnung. Die Glaubwürdigkeit leidet, wenn Termine angekündigt und nicht eingehalten werden können. Dies liefert bei einem kritischen und oftmals hinterfragten Projekt den Nährboden für Spekulationen. Ein ambitionierter Zeitplan kann zur kommunikativen Gefahr werden – daher besser ein sattes Zeitpolster hinzurechnen und früher als erwartet beginnen.
Über Dieter Bitschnau:

Dieter Bitschnau ist seit 1997 im Unternehmen und einer der drei Geschäftsführer von clavis. Strategische Kommunikations- und Krisenberatung für Unternehmen und halb-öffentliche Gesellschaften sowie Projektkommunikation bei Infrastrukturprojekten und Public Affairs/Politische Kommunikation sind seine Spezialgebiete. An der Donau Universität Krems hat Dieter Bitschnau den Master of Science in Public Relations und Integrierter Kommunikation gemacht. Zudem ist er Absolvent der Master Classes am Deutschen Institut für Public Affairs in Berlin. Dieter Bitschnau ist Vorstand des PRVA Vorarlberg und Obmann der Sparte Information und Consulting der Wirtschaftskammer Vorarlberg.