Gehört werden, Ideen einbringen können, mitgestalten: Beteiligungsprozesse sorgen nicht nur für mehr Akzeptanz von Infrastrukturprojekten, sie können auch wichtige Denkanstöße liefern und Vorhaben verbessern. Das braucht in vielen Fällen allerdings Zeit, und so laufen solche Prozesse meist über mehrere Jahre. Bis im vergangenen März Corona kam und die meisten Formate langfristig auf Eis legte. Wird 2020 zum „verlorenen“ Jahr für die Bürgerbeteiligung – oder verhilft Social Distancing der E-Partizipation zum Durchbruch? Eine Umfrage des Berliner Instituts für Partizipation (bipar) liefert dazu neue, spannende Erkenntnisse.
Social Distancing und die Folgen für die Bürgerbeteiligung
In Zeiten, in denen Digital plötzlich das neue Normal ist, haben es klassische Beteiligungsformate schwer: Egal ob ein BürgerInnenforum, ein Arbeitsgruppentreffen oder eine Planausstellung am Terminkalender stand – durch die Verordnungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie waren persönliche Treffen plötzlich nicht mehr möglich und sind es, je nach Größe, auch heute noch nicht. Dabei leben Beteiligungsformate von der menschlichen Begegnung und dem direkten Austausch. Bedingungen, die heute allerdings auch gut virtuell geschaffen werden können. Hier kann vor allem digitale Bürgerbeteiligung als Chance gesehen werden. Warum heißt es aber für viele Projekte seit vergangenem Frühling trotzdem: „Bis auf Weiteres verschoben?“
Als einen Grund führt die neue bipar-Umfrage an, dass viele Gemeinde- und Stadtverwaltungen noch nicht entsprechend für digitale Formate gerüstet sind. Rund zwei Drittel der Antwortenden gaben an, dass solche Angebote in ihrer Kommune nicht bestünden, fand das Berliner Institut bei Ihrer Umfrage mit insgesamt 1.771 TeilnehmerInnen im Befragungszeitraum April 2020 heraus. Auch die meisten Dienstleister waren besser für Offline-, als für Online-Beteiligung vorbereitet: Von den 244 befragten Dienstleistungsanbietern gaben 159 an, Dienstleistungstools & -angebote im Offline-Beteiligungsbereich im Portfolio zu haben. Lediglich 97 verfügten im April über Instrumente zur Online-Beteiligung. Das wirkte sich auch auf das Geschäft der Anbieter aus: Jede/r Zweite gab an, dass es aufgrund der Corona-Pandemie zu Umsatzeinbußen gekommen ist. Grund genug für die Dienstleister, sich rasch an die neue Situation anzupassen: Knapp 66% der Befragten weiten ihr Angebot an digitalen Tools aus, 22% sind noch unentschlossen und lediglich 12% werden diesen Schritt nicht setzen.
Digital als Ergänzung, aber nicht als Ersatz
Über ein halbes Jahr nach Beginn der Krise werden die meisten Umfrage-TeilnehmerInnen also vermutlich über genügend Online-Tools verfügen, um Beteiligungsformate in die virtuelle Welt zu übersetzen. Trotzdem wird diese Möglichkeit nur moderat genutzt. Eine Ursache dafür sieht das bipar in den Grenzen der digitalen Erfahrung: Ein Zoom-, Skype- oder Teams-Meeting kann das persönliche Treffen, vor allem bei emotionalen Themen, nicht 1:1 ersetzen. Für 90% der Befragten aus den Bereichen Politik und Verwaltung und sogar für 92% der Beteiligungs-Dienstleister sind digitale Formate kein gleichwertiger Ersatz zu Präsenzveranstaltungen. Nicht ganz so streng, aber dennoch eindeutig schätzen die befragten BürgerInnen die Situation ein: 85% stufen den digitalen Ersatz als nicht gleichwertig ein, lediglich die verbleibenden 15% beurteilen die Leistung als äquivalent. Digitale Formate werden also vielmehr als Ergänzung gesehen, als wertvolle Bereicherung für den Gesamtprozesses – nicht aber als Substitut.
Fazit: E-Partizipation braucht Technik, vor allem aber Teilhabe
Ziel für die Zukunft wird es also sein, eine lebendige Partizipations- und Austauschkultur zu erhalten, um die laufenden Beteiligungsprozesse erfolgreich weiterführen zu können. Auch wenn digitale Angebote Präsenzveranstaltungen nicht ersetzen können, so schaffen sie dennoch Handlungsspielraum. Wie auch in der bipar-Studie bestätigt wurde, werden Digitalisierungsmaßnahmen in der Bürgerbeteiligung in nächster Zeit tendenziell einen Aufschwung erleben. Gleichzeitig wird erwartet, dass Präsenzveranstaltungen nach der Krise bzw. auch unter Einhaltung der entsprechenden Corona-Maßnahmen wieder vermehrt stattfinden werden. Der gemeinsame Austausch ist und bleibt der Schlüssel für erfolgreiche Partizipationsprozesse – persönlich UND digital.
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Quelle: Berlin Institut für Partizipation (2020): Das verlorene Jahr? Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Bürgerbeteiligung in Deutschland. URL: https://www.bipar.de/sdm_downloads/auswirkungen-der-corona-pandemie-auf-die-buergerbeteiligung-in-deutschland/.