Seit den 80er Jahren ist Dr. Josef Sawetz als Kommunikations- und Marketingpsychologe Experte auf seinem Gebiet. Er unterrichtet unter anderem an der Universität Wien und der Donau-Universität Krems. Wir sprachen mit ihm über die viel diskutierten Fake News, welche Mechanismen dahinter stecken und was Betroffene dagegen tun können.
Die wichtigsten Aussagen
- Heute ist die Kommunikation schnell, kurzlebig, bruchstückhaft, oberflächlich, tendenziell stereotyp und stark emotionalisiert und deswegen in ihren Konsequenzen auch so gravierend.
- Man muss nicht lügen, um Fake News zu produzieren: Es reicht, wenn die Inhalte geframed sind bzw. bestimmte Tendenzen aufweisen. Dementsprechend bauen sich dann auch die Einstellungen bei den Rezipienten auf.
- „Alternative facts“ bzw. Fake News sind grundsätzlich auf allen Medienkanälen möglich. Die personalisierte Ansprache über die Sozialen Medien instrumentalisiert den User aber besonders stark.
- Untermauerte Fakten und emotional starke Stories bieten eine Lösung gegen Fake News.
Der Begriff Fake News ist derzeit überall Thema. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Gleich vorweg: „fake und biased news“ hat es schon immer gegeben. Abgesehen von bewusster Desinformation können Medien ganz grundsätzlich die Wirklichkeit nicht exakt abbilden, sondern präsentieren nur einen Ausschnitt daraus. Durch die Digitalisierung, Vernetzung und Medien-Fragmentierung haben die Fake News allerdings eine neue Qualität erreicht: Die Kommunikation läuft wesentlich schneller, bruchstückhafter, tendenziell stereotyp und oberflächlicher ab. Eine Auseinandersetzung gewinnt derjenige, der den aufmerksamkeitsstärksten und emotionalsten Impact generiert. Der Einzelne erhält große „publishing power“ und die Macht zur ganz persönlichen Selektion der Medieninhalte.
In unserer heutigen Zeit ist die Medienwelt sehr schnelllebig. Welche Entwicklungen sehen Sie noch, die die aktuelle Situation fördert?
Es gibt drei Entwicklungen, die die derzeitige Situation bzw. Fake News bedingen: Das ist einerseits der Wandel in der Gesellschaft, andererseits die Medienentwicklung und drittens spielen individuelle Gründe eine Rolle.
Die Sichtweise der Menschen auf die Ereignisse und ihre Einstellungen aktuellen Themen gegenüber wird zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Gruppen immer unterschiedlicher. Denn jeder baut sich heute aus den vielen Mosaikteilchen der unterschiedlichen Medienkanäle wie TV, Zeitung, Twitter, Facebook, etc. sein individuelles Fenster zur Welt. Wir haben dadurch das trügerische Gefühl, dass unsere Meinung überwiegt.
Verzerren nicht auch die klassischen Medien laufend die Wirklichkeit?
Seitens der Medien muss immer berücksichtigt werden, dass jede Vermittlung der tatsächlichen Fakten immer nur eine Selektion ist und nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit abbilden kann. So hat jeder Medienkanal seine ganz spezifischen Möglichkeiten und Einschränkungen. Ein Foto z.B. ist immer ein Ausschnitt sowohl in der räumlichen als auch der zeitlichen Dimension. Sehr leicht kann durch dieses Herausnehmen aus dem dynamischen Kontext ein falscher Eindruck erzeugt werden. Twitter beispielsweise wirkt auf den Inhalt durch die Zeichenbeschränkung selektiv und damit potentiell verzerrend ein.
Journalisten müssen nicht lügen, um Fake News zu produzieren: Die Inhalte müssen nur dementsprechend geframed werden bzw. bestimmte Tendenzen aufweisen. Daraus entwickeln sich wiederum Einstellungen bei der Bevölkerung. Rezipienten gehen den vermittelten Fakten wegen der Informationsüberflutung oftmals nicht auf den Grund. Bei laufender Wiederholung werden diese vom Rezipienten allerdings als zunehmend „wahr“ eingestuft.
Was können Betroffene gegen Fake News unternehmen?
Im ersten Schritt ist es wichtig, die gerade erwähnten Entwicklungen zu analysieren und zu verstehen. Wie geht der einzelne Rezipient mit dieser Welt um? Die Menschen sind laufend auf der Suche nach der Wahrheit, da sie nach Halt und Sicherheit streben. Ich muss also meinen Rezipienten verstehen: Welche Werte, Motive, Wünsche und Ängste hat er und welchen Regeln folgt er, um Informationen zu strukturieren und sich die Welt zu erklären? Im nächsten Schritt mache ich den Fakten-Check. Ich sammle alle Fakten, die den Fake News widersprechen und halte dagegen. Danach baue ich mit diesem Gerüst eine Story, die einen starken emotionalen Impact hat, denn starke Emotionen erzielen eine hohe Aufmerksamkeit. Emotionen sind heute die neuen Fakten. Denn durch die Informationsüberflutung delegiert der überforderte Verstand vermehrt an das Bauchgefühl. Dabei empfehle ich als eine der möglichen Techniken die Argumentation des Einzelfalles.
Haben Sie da ein Beispiel für uns?
Denken Sie beispielsweise an den verstorbenen Flüchtlingsjungen am Strand von Griechenland: Er stand als Einzelfall für das große Ganze – die Flüchtlingskrise. Der Tod des Jungen wurde sehr emotional diskutiert. Dabei wurde die Story dafür genutzt, die Einstellung in der Bevölkerung und der Politik zu ändern. Die Medien müssen künftig emotionaler berichten, um die Menschen zu erreichen. Vor allem Boulevard-Medien sind besser an das derzeitige Informationsverhalten der Bevölkerung angepasst. Auf lange Sicht müssen auch die anderen Medien nachziehen und ihre Kommunikationsstrategie ändern.