Partizipation in der Stadtentwicklung: Chancen, Herausforderungen und die Vorreiterrolle der Stadt Wien

Wie sollen Straßenzüge umgestaltet werden? Welche Tempolimits werden dort eingeführt? Und wie kann an der einen Ecke mehr Grünraum geschaffen werden? Fragen wie diese beschäftigen Stadtverwaltungen genauso wie interessierte und/oder betroffene Bürger:innen. Das Thema Bürger:innenbeteiligung und Partizipation erlangt immer mehr Aufmerksamkeit. Alle möchten mitreden, mitentscheiden und gehört werden, doch nicht immer ist das so einfach möglich. Die Schwierigkeiten beginnen schon bei einer genauen Definition der Begriffe Bürger:innenbeteiligung und Partizipation. Mit weiteren Herausforderungen und der Vorreiterrolle der Stadt Wien in der Partizipation bei Stadtentwicklungsprozessen hat sich clavis-Beraterin Yvonne Gaspar in ihrer Masterarbeit beschäftigt. In diesem Blogbeitrag hat sie einige spannende Erkenntnisse zusammengefasst. 

Entwicklung von Bürger:innenbeteiligung und Partizipation

In den letzten 50 Jahren hat sich der Forschungsbereich der Bürger:innenbeteiligung und Partizipation stark weiterentwickelt. Von der klassischen Einordnung in lineare, top-down gesteuerte Regierungsstrukturen der 1970er Jahre bis hin zu netzwerkartigen Kooperationen verschiedener 

Akteur:innen in politischen Arenen – dieser Paradigmenwechsel von Government zu Governance hat neue partizipatorische Möglichkeiten eröffnet. Die Bürger:innen werden zunehmend in den Mittelpunkt gerückt, um ihnen eine größere Einflussnahme auf die Gestaltung ihrer Stadt zu ermöglichen. So werden sie in die Entscheidungen, ob an der Ecke zwei Bäume oder ein Gemeinschaftsgarten für Grünraum sorgt, oder ob in die Erdgeschosszone eine kleine Gewerbefläche oder Spielraum für Kleinkinder einzieht, miteinbezogen. Und das hat auch für die Stadt große Vorteile: Wer selbst mitentscheiden darf, kümmert sich im Nachhinein auch mehr um die Instandhaltung. Es ist allerdings wichtig zu beachten, dass Bürger:innenbeteiligung und Partizipation nicht synonym verwendet werden können. 

Spricht man von Bürger:innenbeteiligung, geht es um das Mitentscheiden. Es ist ein formeller, offiziell von der Verwaltung initiierter Akt öffentlicher Entscheidungsbildung, der verfassungsrechtlich geregelt ist. Parteipolitische Wahlen sind das Paradebeispiel für Beteiligung. Von Partizipation ist hingegen erst die Rede, wenn Bürger:innen selbstgesteuert, also bottom-up agieren. Sie ist informell, unterliegt keinem Regelwerk und findet daher auch schwerer im politischen Alltag Anwendung. Ein Beispiel wäre eine Bürger:inneninitiative. Die Urform davon ist wahrscheinlich die Demonstration. Hier lässt sich auch noch in legale und illegale Partizipation unterscheiden, wenn wir zwischen angemeldeten Demonstrationen und willkürlichen Hausbesetzungen unterscheiden. All jene Formen vereinen sich in der Tatsache, dass der Ursprung des Handelns bei den Bürger:innen selbst liegt.  

Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze für Partizipation

Bürger:innenbeteiligung als Möglichkeit zur Einbindung in Entscheidungsprozesse genießt einen hohen Stellenwert. Bottom-up initiierte Partizipation hingegen gewinnt zunehmend an Bedeutung, bleibt in der Umsetzung allerdings dennoch eine Ausnahme. Die große Herausforderung besteht nämlich darin, dass der Begriff „Partizipation“ oft unterschiedlich und intransparent verwendet wird. Daher sind einheitliche Begriffe und Methodenpläne erforderlich. Bei der Umsetzung von partizipativen Ansätzen in der Stadtentwicklung stellen die oftmals trägen und komplexen Verwaltungsapparate mit unklaren Zuständigkeiten eine weitere Schwierigkeit dar. Viel zu häufig orientieren sich politische Leitlinien noch überwiegend am „Government“. Aufgabe der Stadtverwaltung sollte es in Zukunft sein, diesen Anregungen besser nachzukommen und mehr Angebote bereitzustellen, im ihren Bürger:innen ihr Recht auf „echte“ Partizipation einzuräumen. Dazu müssen Bürger:innen erstmal um ihre Rechte wissen, welche Möglichkeiten sie haben, sich nicht nur einzubringen, sondern selbst Ideen anzustoßen. Die Stadt sollte hier lediglich als Mentorin auftreten, die den notwendigen Raum bietet, sich sonst aber im Hintergrund aufhält. Eine schwierige Gratwanderung, die immer notwendiger wird. 

Die Stadt Wien und ihre Bestrebungen in der Partizipation

Die Stadt Wien nimmt in Sachen nachhaltiger Stadtplanung eine Vorreiterrolle ein. In Stadtentwicklungskonzepten wie Smart City oder STEP25 ist Partizipation fest verankert und wird auf allen Ebenen berücksichtigt. Bei der Umsetzung handelt es sich dann aber doch meist um Bürger:innenbeteiligung. Ein passendes Beispiel ist die Grätzlmarie, ein Ideen-Budget des Stadtentwicklungsprojekts

WieNeu+ in Favoriten. Hier können Bewohner:innen für ein Projekt, das sie selbst initiieren und das der Gemeinschaft zugutekommt, eine ansprechende Fördersumme erhalten. Das kann vom Grätzlrad bis zum Kunstprojekt zur Kreislaufwirtschaft alles sein. Was allerdings direkt auffällt: Es gibt Regelwerke und eine Jury, die die Ideen bewertet, also wieder keine „echte“ Partizipation. Auch Meinungsverschiedenheiten spielen eine Rolle. Häufig treffen Interessensgruppen mit unterschiedlichen, teils gegensätzlichen Vorstellungen aufeinander, was dazu führt, dass die Bürger:innen in den Hintergrund gedrängt werden. Beispielsweise wollen Hauseigentümer:innen etwas anderes, als ihre Mieterschaft sich das vorstellen würde. Hauseigentümer:innen haben darüber hinaus die höhere Entscheidungskompetenz. Die Koordination dieser verschiedenen Interessen liegt in der Verantwortung der Stadt Wien, die zeitnahe Maßnahmen umsetzen muss, um die Hürden zu überwinden und die Bürger:innen aktiv am Stadtgeschehen teilhaben zu lassen. Letztendlich ist Partizipation ein Schlüssel für das Schaffen einer lebenswerten Stadt, in der die Bedürfnisse und Perspektiven der Bürger:innen aktiv einbezogen werden.  

Blick in die Zukunft

Es bleibt zu diskutieren, ob eine umfassende Form der Partizipation wünschenswert ist. Sherry Arnstein, die Urmutter der Partizipationsforschung, demonstriert in ihrer „Ladder of Participation“ die „citizen control“ als höchstmögliche Stufe der Partizipation. Das bedeutet, dass die volle Verantwortung über politische und verwaltungstechnische Entscheidungen bei den Bürger:innen liegt. Der jeweils zuständigen Organisation würden damit jegliche öffentliche Mittel zur freien Verfügung stehen – einschließlich der Steuergelder. Welcher Weg hier anzustreben ist, bleibt weiterhin Gegenstand intensiver Diskussionen. Vermutlich liegt der beste Weg, wie so oft, in der Mitte. 

Fazit

Zusammenfassend lässt sich hervorheben, dass die Betonung von Partizipation in der Stadtentwicklung ein positiver Schritt in Richtung einer inklusiven und nachhaltigen Stadt ist. Es bedarf jedoch weiterer Anstrengungen, um einheitliche Standards, eine transparente Verwendung von Begriffen und eine effektive Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteur:innen zu etablieren. Nur so kann eine erfolgreiche Umsetzung von Partizipation gewährleistet und die Diversität und Multikulturalität der Bürger:innen in die Gestaltung einer Stadt miteinbezogen werden. 

 

Quelle: Bäume in Köpfe pflanzen: Die Implementierung von Partizipation am Beispiel nachhaltiger Stadtentwicklungsprojekte in Wien“ (Gaspar, 2021) 

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