Postfaktische Kommunikation: „Das ist eine neue Unverfrorenheit“

Mag. Christoph Hofinger ist seit mehr als 20 Jahren in der Sozial- und Politikforschung tätig. Gemeinsam mit Günther Ogris leitet er seit 1996 das private Forschungsinstitut SORA, das regelmäßig Hochrechnungen und Wählerstromanalysen für den ORF erstellt – so auch bei der Bundespräsidentenwahl am 4. Dezember. Wir sprachen mit ihm über sein Gefühl nach dem langen Wahljahr und das Wort des Jahres 2016 – postfaktisch.

Die wichtigsten Erkenntnisse

  • Die Kombination aus Fakten und wohlüberlegtem Framing ist langfristig gesehen die härteste Währung in der öffentlichen Kommunikation.
  • Kommunikation ohne oder gegen die Fakten ist nichts Neues. Jetzt wurden lediglich effizientere Methoden gefunden, um an den Fakten vorbei zu mobilisieren.

Zwischen dem ersten Wahlsonntag der Bundespräsidentenwahl im April und dem dritten Anlauf im Dezember sind mehr als acht Monate vergangen. Wie fühlen Sie sich nach diesem Wahlmarathon?
Christoph Hofinger: Ich bin immer erleichtert, wenn wir einen Wahlsonntag überstanden haben, noch dazu unter so schwierigen Bedingungen wie diesmal. Einerseits freut mich,

dass wir mit unseren Prognosen nur 0,2 Prozent vom tatsächlichen Ergebnis entfernt lagen. Andererseits bin ich auch nach der Aufhebung und nach „Klebergate“ darüber erleichtert, dass es ein eindeutiges Ergebnis gegeben hat, an dessen Rechtmäßigkeit keine Zweifel bestehen. Das Ergebnis ist im Gegensatz zum letzten Wahlgang sehr klar, und aus Umfragen wissen wir, dass auch eine überwältigende Mehrheit der Hofer-Wähler Van der Bellen als Präsident akzeptieren wird.

In diesem Wahlkampf wurde viel mit Emotionen gespielt, die Fakten traten immer mehr in den Hintergrund – es wurde also postfaktisch argumentiert. Ist dieser Trend aus Ihrer Sicht von Dauer oder handelt es sich bei der Popularität des Begriffs postfaktisch lediglich um einen vorübergehenden Hype?
Postfaktisch beschreibt eigentlich nur etwas, das schon immer da war – der Versuch erfolgreicher Kommunikation ohne oder gegen die Fakten. In unserem Zeitalter wurden lediglich effizientere Methoden gefunden, um an den Fakten vorbei zu mobilisieren. Früher haben Menschen in kleinen Gruppen gelebt, in denen man bis zu einem gewissen Grad abgeschottet war. Dann kamen die Massenmedien, und man konnte davon ausgehen, dass die Menschen – egal auf welcher Seite sie standen – im Großen und Ganzen Zugang zu ähnlichen Informationen erhielten. Heute erleben wir durch Social Media wieder eine Abschottung, oder zumindest eine extreme Selektivität. Auch in Facebook-Kampagnen werden Fakten eingebaut, aber nur die, die gut zum Konzept passen. Es gibt Untersuchungen, dass die Kampagnen-Inhalte des designierten US-Präsidenten Donald Trump am erfolgreichsten waren, die nur einen geringen oder gar keinen Realitätsgehalt aufwiesen. Die Journalistin Amy Walter beschrieb das Phänomen Trump so: „Mit Politikern kann man gewöhnlich darüber debattieren, ob das Glas, das vor einem steht, halbvoll oder halbleer ist. Donald Trump sagt, es gibt gar kein Glas.“ Trumps künftiger Vize-Präsident Mike Pence hat vor kurzem eine faktisch falsche Aussage Trumps mit dem Argument verteidigt, dass Trump eben „erfrischend“ sei und den Menschen das gefalle. Das ist eine neue Unverfrorenheit, die durch Trump sozusagen geadelt wurde. Trump ist der Beweis dafür, dass es auch ohne Fakten geht.

Hat der Journalismus eine Mitschuld an der Popularität von postfaktischer Information zu tragen?
Jein. Journalisten müssen der Versuchung widerstehen, beim Schreiben nicht in erster Linie darauf zu schielen, dass Kampagnen auf Facebook zu ihnen verlinken. Die Medien haben eine Verantwortung – wenn sie sehen, dass in einer großen Kampagne nur aus einem bestimmten Blickwinkel auf ein Thema geschaut wird, dürfen sie diesen Standpunkt nicht einfach übernehmen.

Glauben Sie, dass postfaktische Kommunikation Politiker langfristig zum Erfolg führt?
Es ist kein Zufall, dass Putin, Erdogan und Orban den Medien an den Kragen gehen. Letztlich ist es aber eine Frage des Framings. Es können auch Kandidaten ins Trudeln kommen, die faktentreu handeln wollen. Obama ist zum Beispiel bei seinem „ObamaCare“ Programm an der Kommunikation gescheitert. Durch die Unverfrorenheit der postfaktischen Kandidaten und das teilweise Versagen der Medien kommen diese nicht automatisch in größere Schwierigkeiten.

Was bedeutet diese Entwicklung für Unternehmen und ihre Kommunikation – beispielsweise, wenn ein Projektgegner Unwahrheiten erzählt, ihm aber geglaubt wird?
Ich denke, dass Unternehmen hier mit Framing arbeiten müssen. Wenn eine Firma ihre Werte offenlegt und aus diesem Wertesystem heraus argumentiert, bringt sie eine neue Perspektive auf falsche Behauptungen von anderer Seite. So ein Wertesystem, wenn es glaubwürdig und mit einem „Code of Conduct“ verbunden ist, kann dabei helfen, darzulegen, warum bestimmte falsche Behauptungen doch nicht so plausibel sind, wie sie auf den ersten Blick wirken. Die Fakten alleine sind gar nicht das Entscheidende – was mich aber nicht zu dem Schluss verleitet zu sagen, dass die Fakten egal sind. Erst die Kombination aus Fakten und wohlüberlegtem Framing ist langfristig gesehen die härteste Währung in der öffentlichen Kommunikation.

Tatsachen verlieren also auch im postfaktischen Zeitalter nicht an Bedeutung?
Nein, aber dazu braucht es Medien, die Fakten prüfen und recherchieren – und eine kritische Öffentlichkeit. Ich glaube schon, dass es einen Trend in Richtung Unverfrorenheit gibt, der aber auch eine Gegenbewegung hervorruft. Mit Donald Trump haben wir allerdings schon eine neue Dimension erreicht, mit der man erst umzugehen lernen muss. Letztendlich kommt es zu einer Umwertung: Wir schauen nicht mehr, wer recht hat, sondern wer stärker ist.

Fotonachweis: Armin Plankensteiner

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