Dem Schweigen keine Chance: wie man sensible Themen erfolgreich kommuniziert

Obwohl sich unsere Gesellschaft im Wandel befindet, gibt es sie immer noch in großer Zahl: Tabuthemen, über die zwar hinter vorgehaltener Hand gesprochen und gemutmaßt wird, die in der Öffentlichkeit aber totgeschwiegen werden. Viele Tabuthemen betreffen in erster Linie Frauen, wie die psychische Gewalt in Beruf, Beziehung oder Familie. Um das Bewusstsein für diese Form der Gewalt in der Öffentlichkeit zu stärken, rief das Vorarlberger Fraueninformationszentrum femail mit Unterstützung von clavis vergangenes Frühjahr die Kampagne „Weil es Zeit ist – Gemeinsam gegen psychische Gewalt“ ins Leben. Kampagnenleiterin Diana Panzirsch spricht im Interview mit clavis darüber, warum der Fokus auf Social Media entscheidend für den Erfolg der Kampagne war.

Die Zahlen zeichnen ein deutliches Bild: Rund 40 Prozent aller Frauen waren in den vergangenen drei Jahren bereits – im privaten oder beruflichen Umfeld – von psychischer Gewalt betroffen. Ob Abwertung oder Demütigung, Missachtung, Liebensentzug oder gar offene Drohungen oder Strafen – psychische Gewalt hat viele Gesichter und ist damit die häufigste Gewaltform, der Frauen ausgesetzt sind.

Gleichzeitig wird die Gewalt oft nicht als solche wahrgenommen oder gesellschaftlich sogar geduldet, was dazu führen kann, dass Betroffene mit ihrer Situation alleine gelassen werden. Die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren, stand deshalb im Zentrum der Kampagne „Weil es Zeit ist“: Um sowohl Opfer von psychischer Gewalt, als auch eine große Bandbreite an Menschen zu erreichen, fand der Schwerpunkt der Kommunikation in den sozialen Medien statt. Das Projekt wurde mit Mitteln vom Gesundheitsförderungsfond Vorarlberg und dem Bundeskanzleramt gefördert.

Praxisbeispiel: Kampagne „Weil es Zeit ist“

Diana Panzirsch, nach welchen Kriterien haben Sie im Team die bespielten Kanäle bzw. die Kommunikationsmaßnahmen ausgewählt?

Unser Ziel war es, mit den begrenzten Mitteln eine maximale Reichweite zu bekommen. Dafür erschienen gerade die Social-Media-Kanäle ideal. Der Schwerpunkt auf Social Media erklärt sich aber auch daraus, dass unsere wichtigste Zielgruppe – nämlich von psychischer Gewalt betroffene Frauen – diese Kanäle favorisieren.

Digitale Inhalte lassen sich einfach leichter weiterleiten und teilen, vor allem aber auch in geschützten Momenten lesen. Verläufe lassen sich einfach löschen. Flyer beispielsweise können in der Handtasche gefunden werden.

Das Thema Gewalt ist sehr sensibel. Wie gingen Sie mit abwertenden Kommentaren um?

Das ist immer eine Gratwanderung und erfordert viel Fingerspitzengefühl. Sehr hilfreich war dabei die von clavis erarbeitete Netiquette, auf die wir immer wieder hinweisen konnten und mussten. Zudem erarbeiteten wir gemeinsam mit clavis Textbausteine, mit denen wir rasch und sachlich auf Kommentare reagieren konnten. Es hat sich gezeigt, dass respektvolle Reaktionen deeskalierend auf den ganzen Thread wirken und sich User dann gegenseitig „korrigieren“. Wenn eine Deeskalation und ein respektvoller Umgang aber auch nach mehreren Versuchen nicht möglich ist, dann muss man auch den Mut haben, Kommentare zu löschen. Die Angst davor, den Vorwurf der „Zensur“ zu erhalten, darf nicht dazu führen, dass der digitale Raum zu einem Ort wird, an dem bspw. Betroffene alles aushalten und ertragen müssen.

Wie haben Sie sichergestellt, dass Betroffene wirklich erreicht werden?

Wir haben sie bereits in den Entstehungsprozess der Kampagne eingebunden – ein Betroffenenbeirat hat unser Projekt begleitet: Welche Kanäle nutzt/favorisiert ihr? Welche Aussagen sprechen euch an? Welche Formate sind passend? Wo holt ihr euch Informationen? Was stärkt euch? Was braucht ihr? Diese und andere Fragen konnten wir in den Beiratsmeetings besprechen und die Kampagne entsprechend gestalten bzw. anpassen. Ihr Feedback war für den gesamten Verlauf unglaublich wertvoll.

Wie haben Sie den Erfolg der Kampagne evaluiert?

Der Erfolg lässt sich einerseits in Zahlen gießen, anhand von Social Media Kennzahlen, Medienanalysen sowie das Abfragen der Bekanntheit der Kampagne. Der wahre Erfolg hat sich für uns aber dadurch gezeigt, dass unser Telefon seit Beginn der Kampagne kaum stillsteht. Zahlreiche Frauen haben sich gemeldet, die explizit um Hilfe wegen psychischer Gewalt gebeten haben. Dabei gilt es zu wissen, dass diese Gewaltform oft so subtil und schleichend ist, dass Betroffene meist nicht verstehen, was mit ihnen geschieht. Unsere Psychologinnen haben erstmals die Erfahrung gemacht, dass Frauen selbst erkannt haben, dass sie von psychischer Gewalt betroffen sind und dies auch in klare Worte fassen konnten. Die Kampagne hat in der Gesellschaft und bei Betroffenen definitiv das Wissen über psychische Gewalt erhöht und auch das Bewusstsein dafür gestärkt, dass dies niemand ertragen muss.

Plakatkampagne „Weil es Zeit ist“ mit Testimonials (Auswahl)

Für die Farbversion aufs Bild klicken

Learnings zur Kommunikation sensibler Inhalte

  • Die Zielgruppe soll dort abgeholt werden, wo sie sich – virtuell und analog – bewegt. Bei sensiblen Themen ist es wichtig, die Kommunikation niederschwellig zu gestalten. Digitale Kanäle eignen sich dazu besonders gut. Im Rahmen der Kampagne wurde ergänzend unter anderem auf eine Plakat-Kampagne mit regionalen Testimonials gesetzt, die in Schulen, Arztpraxen, Unternehmen, aber beispielsweise auch in Impfzentren zu sehen war.
  • Wenn der Fokus auf digitalen Kanäle liegt, muss das Community-Management gut geplant sein. Welche Teammitglieder sind für die Betreuung von Kommentaren und die Beantwortung von Anfragen zuständig? Wie wird das Monitoring außerhalb der Arbeitszeiten gestaltet? Gerade bei sensiblen, emotionalen Themen können Diskussionen entstehen, die einer Moderation bedürfen – auch abends und am Wochenende.
  • Um auf negative oder unpassende Kommentare rasch und richtig zu reagieren, können vorbereitete Textbausteine extrem nützlich sein. Vorab werden dazu häufige Fragen überlegt und beantwortet. Mithilfe dieser Unterlage können MitarbeiterInnen mit unterschiedlichem Wissensstand rasch Antworten formulieren, die fachlich richtig sind und den vom Team definierten Kommunikationsregeln entsprechen.
  • Kommunikationsregeln/Umgang miteinander: Im digitalen Raum ist es leichter, Diskussionspartner abzuwerten oder aggressiv zu kommunizieren. Deshalb ist es sinnvoll, bestimmte Kommunikationsregeln festzulegen, auf die die Moderatorin/der Moderator bei solchen Chatverläufen hinweisen kann. Eine „Netiquette“ sorgt dafür, dass die Kommunikation angenehm für alle Beteiligten verläuft und Beleidigungen sowie Aggressivität unterbunden werden.

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